Cronquist oder APG?

Die große (unabgeschlossene) Debatte, welches phylogenetische Systematik ist sinnvoll in der Homöopathie?


Die evolutionäre Ordnung des Pflanzenreichs entstand als Ergebnis einer ausgedehnten wissenschaftlichen Diskussion, die über viele Jahrzehnte stattfand. Diese Ordnung, die in verschiedenen Klassifikationen (Systemen) zum Ausdruck gebracht wurde, basiert auf den morphologischen, chemischen oder ökologischen Kriterien, beginnend mit Linnaeus im 18. Jahrhundert weitergehend zu Takhtajan, Thorne, Dahlgren und Anderen in den letzten Jahrzehnten.

 

In den achtziger Jahren schlug der Botaniker Arthur Cronquist(1) (1919-1992) ein systematisches Schema vor, das die Evolutionsprozesse von Pflanzen auf eine Art definierte, die eine klare Assoziation zwischen Familien, Ordnungen und höheren taxonomischen Rängen schuf. Dieser Prozess wurde als eine Art genealogisches System (Abstammungsbaum) dargestellt, in dem die Entwicklung des Pflanzenreiches durch das Erscheinungsbild beschrieben wird und das die „Zeichen und Symptome“ seiner Mitglieder darstellt: Hauptsächlich folgt dieses System dem evolutionären Stadium der Blume, der Frucht und der Samenstruktur sowie dem Erscheinungsbild und der Struktur des Blütenstaubs (Pollen).

 

In diesem Modell werden die primitivsten Pflanzen mit den ursprünglichsten Anlagen – Botaniker haben immer noch die Angewohnheit, diesen scheinbar politisch inkorrekten Ausdruck zu verwenden, um die früheren Pflanzen so zu beschreiben – an der Basis des Abstammungs-baumes (Schema) positioniert, während die am höchsten entwickelten Pflanzen oben an seiner Krone (Spitze) stehen. Die allgemeine Einteilung des Pflanzenreichs in Form eines Baumes hat systematische, morphologische, hierarchische und evolutionäre Grundlagen und wurde fast allgemein von Botanikern für sehr lange Zeit bis spät in das 20. Jahrhundert übernommen (auch ein anderes, sehr ähnliches Modell von Takhtajan hatte einige Anhänger). Cronquist‘s Ansatz zur Systematisierung der Pflanzen ist die Basis des Schemas zur Klassifikation in dem Buch ‚The Wonderous Order – The systematic table of plants‘ by Michal Yakir’, da Cronquist’s Schema größtenteils auf den „Zeichen und Symptomen“ von Funktion und Empfindung im Pflanzenreich basiert.

 

Entwicklung ist ein zeitabhängiger Prozess, daher ist es möglich, den Evolutionsprozess der Pflanzen in einer zweidimensionalen Tabelle darzustellen (analog zu Mendeleev‘s Periodensystem der Elemente), basierend auf 2 Achsen (Spalten und Reihen), die zusammen den Fluss der Entwicklung repräsentieren. Auf diese Weise schaffen wir eine für unsere Zwecke nützliche homöopathische Pflanzensystematik, gleichzeitig vermittelt dieses System eine logischen Anordnung für die Hunderte von Pflanzenarzneien, die in der Homöopathie verwendet werden.

 

 

 

Moderne Systeme – das APG System

 

Es ist nur angemessen zu erwähnen, dass in den letzten Jahren neuere und modernere Konzepte in der botanischen Systematik eingeführt worden sind. Führend ist hier die APG - Gruppe(2) , die den gegenwärtigen Ton in der Botanik mit ihrer ein wenig unterschiedlichen Annäherung an die Pflanzensystematik anführt, basierend auf der molekularen und genetischen Analyse der DNA und der chemischen Zusammensetzung der Pflanzen, und zwar normalerweise unabhängig von ihren morphologischen und ökologischen Eigenschaften.

 

Das lässt Bestimmungen des genetischen Verhältnisses (Verwandschaft im Hinblick auf die DNA) zwischen jedem Paar von Pflanzen zu, und die daraus resultierenden Ergebnisse führen zu einer anderen Anordnung von Pflanzen in Familien und in größere Gruppierungen und haben ebenso Auswirkungen auf die nachfolgende Nomenklatur (Namensverzeichnis). Die Veränderung vom Cronquist- zu dem APG - System hat größtenteils die Namen von Familien bewahrt, aber die höheren Hierarchien und Kategorien sind aufgehoben bzw. gehen ineinander über oder sind reorganisiert worden. Die meisten Subclasses (Unterklassen) sind eliminiert worden und die Familien sammeln sich jetzt unter verhältnismäßig wenigen 'Super Gruppen'. Tatsächlich gibt es bis jetzt jedoch noch kein zusammenhängendes, vollständiges Bild des gesamten Pflanzenreichs, das dem APG-System folgt. Deshalb hat sich in einigen Fällen das Aufspalten oder die Auflösung von bestimmten Gruppen innerhalb der Super Gruppen ergeben, ohne eine klare entwicklungsmäßige Verbindung zwischen ihnen. Das hat zur Folge, dass diese Art der Betrachtung weniger für unsere homöopathischen Zwecken geeignet ist. Wenn nicht klar bestimmt werden kann was zuerst kam und was danach kam, wenn der gesamte Entwicklungsprozess noch nicht klar festgelegt ist, wie kann es dann als umfassendes logisches Modell für die Pflanzensystematik verstanden werden? Außerdem, wenn wir anstreben ein Modell zu etablieren, das die menschlichen Entwicklungsstadien in ihrer Gesamtheit zeigt und sich auf die homöopathischen Arzneien des Pflanzenreiches bezieht, dann ist es sinnvoller ein System zu nehmen, das ein klares Entwicklungsmodell des Pflanzenreiches liefert.

 

 

 

 

 

 

 

Cronquist versus APG

 

 

 

die Frage des Phänotypus und des Genotypus

 

 

 

 

Es gibt keine eindeutige Antwort auf die Frage, welches System – Cronquist oder APG – überlegen ist. Es ist mehr eine pragmatischen Frage, da beide Systeme ihre Verdienste haben. Einerseits scheint die genetische Annäherung moderner, genauer und objektiver zu sein, aber andererseits ist sie weder umfassend noch entwicklungsorientiert. Um Entwicklungsprozesse zu beschreiben, war es notwendig, eine umfassende Perspektive auf das Pflanzenreich zu verwenden, die ein progressives Modell der Paralellen zwischen der Entwicklung von Pflanzen und der menschlichen Entwicklung ermöglicht. Wie erwähnt, liefert das APG-System bisher noch keinen solch umfassenden Überblick. Noch wichtiger ist, dass es nicht evolutionär orientiert ist, folglich drückt es nicht notwendigerweise die Evolutionsweiterentwicklung innerhalb des Pflanzenreichs aus, wie wir es brauchen.

 

 

 

Aber noch wichtiger ist, dass diese moderne molekulare, botanische Herangehensweise, auf der das APG-System basiert, der herkömmlichen Medizin ähnelt: beide basieren auf Laboruntersuchungen, die nicht notwendigerweise eine klinisch relevante Ansicht der Wirklichkeit liefern. Das kommt dadurch, dass die genetische Verwandtschaft von Pflanzen (bestimmt durch ihren Genotypus) nicht notwendigerweise ihrem phänotypischen Ausdruck entsprechen - ihren morphologischen und ökologischen Eigenschaften (die Form und die Farbe der Blume, der Struktur ihrer Fortpflanzungsorgane, das Verhältnis zu anderen Pflanzen und Tieren und so weiter) – die in Wirklichkeit diejenigen sind, die die Richtung der Entwicklung und die Überlebenschancen für jede einzelne Pflanze bestimmen.

 

 

 

Der Phänotypus ist das individuelle äußere Erscheinungsbild und der physische Ausdruck einer individuellen Pflanze mit einem gegebenen genetischen Code als Reaktion auf Umwelteinflüsse. Es ist ein Ausdruck der Einzigartigkeit einer Pflanze und der Dynamik der Lebenskraft von ihrer Spezies über die Spannweite der Entwicklung.

 

 

 

Der Genotypus, während er selbstverständlich beides - die Geschichte der Pflanze und ihr Potenzial - darstellt, reflektiert aber nicht notwendigerweise die Art ihrer Erscheinung und ihrer Funktionen, noch reflektiert er den tatsächlichen die Umwelt betreffenden Zusammenhang: besonders deutlich geworden ist dies in letzter Zeit dank der jungen Wissenschaft der Epigenetik, die Einflüsse auf die Diktion der Gene anerkennt und die neben den richtigen Genen vererbt werden.

 

 

 

Als Homöopath finde ich, dass es für unsere Zwecke nützlicher ist ein System zu verwenden, das darauf basiert, in welcher Art Dinge erscheinen und sich selbst ausdrücken („Zeichen und Symptome") und nicht allein aufgrund molekularer Ergebnisse.

 

 

 

Aus diesem und anderen Gründen finde ich das APG-System nicht hilfreich für ein umfassendes Verständnis der Beziehung zwischen homöopathischen Arzneien des Pflanzenreichs und den menschlichen Entwicklungsprozessen. In diesen mehr als fünfzehn Jahren, in denen ich dieses System entwickelt habe, fand ich durchgängig das Cronquist-System als geeignetste Basis, um Parallelen zu ziehen zwischen den allgemeinen menschlichen Entwicklungsprozessen, während es gleichzeitig die Voraussetzungen für ein unabhängiges, umfassendes Modell liefert, das das Pflanzenreich als ein Ganzes umschließt(3). Dr. Michal Yakir PhD, RCHom.

 

 

 

Fußnoten

(1) Arthur J. Cronquist (1919-1992) war ein nordamerikanischer Botaniker, der ein System der Pflanzentaxonomie darlegte: einen Entwurf für die Klassifikation von Blütenpflanzen (Angiospermen). Cronquist stellte sein System in ‚Ein integriertes System der Klassifikation der Blütenpflanzen‘ (1981) und ‚Die Entwicklung und Klassifikation von Blütenpflanzen‘ (1968; zweite Auflage 1988) dar. Cronquist‘s System teilt Blütenpflanzen in zwei große Klassen ein, die Monokotyledonen und die Dikotyledonen, unterteilt in Unterklassen, innerhalb derer Kategorien (Ordnungen), Familien und Spezies geordnet werden, basierend auf morphologischen Eigenschaften.

 

(2) APG: Angiosperme-Phylogenese-Gruppe ist eine molekulare phylogenetische Gruppe, basierend auf weltweiter Zusammenarbeit, indem Analysen der DNA von Pflanzenarten in verschiedenen Universitäten und Laboratorien auf der ganzen Welt durch geführt wurden.

 

(3) Es ist wichtig zu erwähnen, dass die verschiedenen homöopathischen Software-Programme verschiedene Ansätze der Pflanzensystematik verwenden, in der auch verschiedene Systeme der Pflanzenklassifikation auftauchen. Zum Beispiel basieren Sankaran‘s Familien auf der älteren Systematik, während Scholten‘s Klassifikation auf dem APG-System basiert, genauso wie Vermeulen‘s Darstellung des Pflanzenreichs in ‚Pflanzen: Homöopathischer und medizinischer Gebrauch aus einer botanischen Familien- Perspektive‘ (Saltire-Bücher, 2012). Wenn man nach einer botanische Zugehörigkeit schaut, muss man deshalb wissen, welche Systematik als Quelle (Buch oder Software) benutzt wurde und ob es mit der eigenen gewünschten Methode der Analyse übereinstimmt, da jedes System der Klassifikation zu unterschiedlichen Ergebnissen führt.